Donnerstag, 9. Januar 2014

Fernbedienung

Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden: Wenn ich hier von meiner Fernbedienung rede, dann meine ich natürlich nicht ein Gerät, mit dem man mich ein- und ausschalten kann. Ein Knopfdruck – und ich verstumme, spreche lauter oder leiser, oder wechsele zwischen verschiedenen Gesprächsthemen hin und her. So ein Gerät gibt es nicht – so bedauerlich das auch für manche meiner Mitmenschen sein mag.

Wenn ich also von meiner Fernbedienung spreche, dann ist die gemeint, mit der ich meinen Fernseher bediene. Wie schön das sein kann, hatte ich fast vergessen. Meinen allerersten eigenen Fernseher hat mir meine Mutter mit auf den Lebensweg gegeben, als ich von zu Hause auszog. Er stammte noch aus einer Epoche der Menschheitsgeschichte, als Strahlen etwas waren, was nur in Science-fiction-Filmen von bösen Aliens dazu eingesetzt wurden, um die rückständigen Waffen der Erdlinge außer Gefecht zu setzen. Aber die Kunst prägt unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. So war die Hemmschwelle hoch, als meine Mutter sich einen neuen Fernseher anschaffte und zum ersten Mal die Fernbedienung in die Hand nahm. Es ging alles gut, d.h. nichts explodierte und keine grünhäutigen Migranten übernahmen die Macht.

Von diesem Tag an legte meine Mutter die Fernbedienung kaum mehr aus der Hand. Schlimmer noch: Sie klagte bitterlich darüber, dass nicht auch die Kaffeemaschine, die Waschmaschine oder der Staubsauger mit ihr bedient werden konnten.

Nach ihrem Tod erbte ich ihren Fernseher und so wiederholte sich die Geschichte. Auch in meiner Wohnung wurde nun der alte kleine durch den großen neueren Apparat ersetzt. Da es mir in der Zwischenzeit nicht gelungen war, ein Kind zu zeugen und aufzuziehen und in die Welt hinein zu schicken, blieb dem alten Fernseher allerdings das Schicksal erspart, ein weiteres Mal seine Heimat zu verlieren. Aber, und das gestehe ich nicht ohne Scham, abgeschoben habe ich ihn trotzdem. Und perfide, wie ich in Wirklichkeit bin, habe ich bei meinem nächsten Umzug sogar versucht, ihn zu verschenken. Erfolglos allerdings, denn, unter uns gesagt, viel war nicht mehr mit ihm los.

Ich war also schließlich in den Besitz eines Fernsehers mit Fernbedienung gekommen, aber dieses televisionäre Luxusleben währte nicht allzu lange. Wie Sie sich erinnern werden, hatte meine Mutter ausgiebig Gebrauch von der Fernbedienung, diesem Wunderwerk der Technik, gemacht. Das hat seine Spuren hinterlassen. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass die Tasten dieser Fernbedienung abgenutzt waren. Nein, sie waren schartig und schrundig geworden, sahen abgewetzt und deformiert aus, verstümmelt, könnte man sagen, wenn das nicht doch etwas zu hart klingen würde. Die Beschaffenheit des Plastiks, aus dem sie bestanden, kann am besten als brüchig und porös bezeichnet werden – und trotzdem: trotzdem konnte dieses Instrument noch eine ganze Zeit lang von mir verwendet werden.

Dann kam, wie so oft bei altgedienten technischen Geräten, die man nicht ersetzen kann oder will, die Zeit der Tricks und Provisorien. Ich flickte sie hier mit Tesafilm und dort mit Klebstoff. Aber der Niedergang war nicht aufzuhalten. Die Tasten reagierten nur noch auf grobe Kraftanstrengungen meines Daumens und der Batterieschacht konnte nichts mehr bei sich behalten. Sein Verschluss war abgebrochen und die Batterien rutschten heraus. Also griff ich wieder zum Tesafilm, diesem Verbandszeug verwundeter Gebrauchsgegenstände.

Und dann kam der Tag, an dem es so aussah, als würde nun wirklich nichts mehr gehen. Ich drückte die Tasten und drücke noch stärker – und nichts geschah. Bleib bei mir, halte durch! raunte ich dem geschundenen Ding in meiner Hand durch meine zusammengebissenen Zähne zu. Aber das rote Auge, das seine Funktion anzeigte, blieb blind. Ich holte tief Luft und starrte auf das zerklüftete Tastenfeld. Der hemmungslose Gebrauch hat die Ziffern unter den Tasten schon längst verwischt und verschwinden lassen. Statt dessen hatten sich dort undefinierbare Schmutzablagerungen breit gemacht.

Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, ich muss wohl spontan einer Intuition gefolgt sein. Ich presste das komatöse Gerät zwischen meine Oberschenkel. Und tatsächlich: Es spürte die Wärme meines Körpers. Diese Wärme hat es wiederbelebt, hat es zurück geholt ins Leben. Die Fernbedienung war schon durch einen schwarzen Tunnel auf den großen weißen Bildschirm zu geschwebt, dessen Licht sie nicht an- oder ausschalten konnte – und auf halbem Wege hat sie dann doch noch Kehrt gemacht, um zu mir zurückzukehren.

Alles war wieder gut. Aber von nun an war die Fernbedienung geradezu abhängig von meiner Körperwärme. Diese neue Intimität zwischen uns war mir offen gestanden etwas peinlich. Wenn ich mit anderen Leuten bei mir fernsah, bediente ich die Glotze mit der Hand. Nur wenn wir allein waren, presste ich sie wieder an meinen Körper und sie dankte es mir damit, dass sie während der Werbeblöcke auf Pro7 oder Vox den Ton verstummen ließ.

Aber das Ende war unausweichlich. Kurz gesagt: Irgendwann hatte ich eine Neue, so eine Universalfernbedienung, also das technische Äquivalent zu einem billigen Flittchen. Und von nun an galt der alte Satz: Neue Fernbedienung, neues Glück. Die Willfährigkeit, mit der sich die neue Fernbedienung in meine Hand schmiegte, hätte mich stutzig machen müssen. Aber alles lief gut – zu gut. Ich berauschte mich an dem mühelosen Hin- und Hergleiten zwischen den Sendern. Und wie das so ist mit den Rauschzuständen: Sie führen dazu, das man schlechte Angewohnheiten annimmt. Und nichts ist so schwer abzulegen, wie schlechte Angewohnheiten. Warum? "Sie machen," so Oscar Wilde, "einen so wesentlichen Teil unserer Persönlichkeit aus." Die schlechte Angewohnheit, die ich annahm, bestand darin, vor dem Ausschalten noch einmal "durchzuzappen". Und Sie werden ahnen, was jetzt kommt. Wenn man durch die Kanäle zappt, und sei es Morgens um drei, findet man immer etwas, was man sich noch mal kurz ansehen möchte. Dann ist es vorbei und bevor man ausschaltet, zappt man noch einmal kurz durch. Und so beginnt das Spiel immer wieder von Neuem. Im Grunde ist es also gar nicht möglich, dass ich unter diesen Umständen noch einmal vom Fernseher wegkomme. Aber es funktioniert – obwohl ich nicht weiß, wie und warum. Vielleicht ist es also doch wahr, was ich vorhin noch so vollmundig als Irrtum oder Illusion abgetan habe: Es gibt da irgendwo einen Jemand und er hält meine, d.h. die Fernbedienung für mich, in der Hand. Und manchmal drückt er einen Knopf, der bewirkt, das ich auf den Aus-Knopf meiner Fernbedienung drücke.

Keine Angst, ich will Ihnen hier keine neue Art von Gottesbeweis unterjubeln. Obwohl … Das technische, und erst recht das elektronische Zeitalter haben weder den Glauben, noch den Aberglauben verdrängt. Vielmehr haben sie nur neue Formen des Aberglaubens hervorgebracht. Und das ist gut und richtig so, denn der Aberglaube entspringt der Furcht und die Furcht ist immer gerechtfertigt. Auch und vor allem, wenn es um Fernbedienungen geht.

Früher habe ich meine Mutter noch verhöhnt. Ich lag hingeflätzt in meinem Wohnzimmersessel, die Fernbedienung des neuen Fernsehers in der Hand und Mutter schnauzte mich an: Ich solle ja nicht mit der Fernbedienung auf auf sie zielen und schon gar nicht dabei einen der Knöpfe drücken. "Hast Du Angst zu verschwinden, wenn ich auf den Knopf drücke?", so spottete ich. Aber gedrückt habe ich dann doch nicht – nicht einmal im Spaß. Auf einer tiefen, intuitiven Ebene haben wir damals wohl beide bereits verstanden, was hier für Gefahren lauern.

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