Donnerstag, 26. Dezember 2013

Krähen

Da sind sie wieder, die Krähen. In dieser Jahreszeit sind sie immer deutlich hörbar über der Stadt unterwegs. Gehen sie doch mal ans Fenster und werfen Sie einen Blick nach draußen, dann werden Sie es auch zu sehen bekommen: Da hinten sitzen sie in den kahlen Bäumen. Ja, im Herbst tragen die Bäume schwarze, krächzende Früchte. Aber pflücken will sie keiner. Oder da drüben, das sieht richtig gut aus, wie sie sich da auf dem schrägen Dach versammeln: eine Kähenkonferenz. Wie in einem Hörsaal, nur mit dem Unterschied, dass keine von ihnen etwas vorträgt. Was auch? Für so eine Krähe ist doch immer schon alles klar. Wozu da noch lange palavern? Und so sitzen sie auch da, schön nebeneinander, ohne nach links oder rechts zu schauen, ohne einen Piep, oder genauer: einen Krächzer von sich zu geben. Manchmal gibt es eine Drängelei, das schon, aber sonst hocken sie ganz einträchtig bei einander. Und dann, ohne erkennbaren Grund, flattern sie alle zusammen auf, kreisen ein wenig über den Dächern und verschwinden da hin, wo man sie nicht mehr sehen kann. Tagsüber zumindest sehe ich sie nur einzeln oder in Kleingruppen, nie in diesen Scharen wie gegen Abend.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, wie seien ihnen egal. Aber das täuscht. Diese schwarzen Brüder und Schwestern sind nicht so tumb wie die Tauben. Denken Sie das nicht. Krähen lassen Nüsse, die sie irgendwo aufgepickt haben, auf die Straße fallen und warten dann, bis ein Auto drüber fährt. Sie benutzen uns also. Als Nussknacker. Habe ich selbst schon gesehen. Unten auf der Straße. Die ist ja auch ideal dafür geeignet. Eine ruhige Seitenstraße, aber auch nicht völlig abgelegen, sondern genau richtig, was die Frequenz durchfahrender Autos angeht.

Manchmal bleibe ich schon stehen, wenn ich Krähen zu Gesicht bekomme, nur um zu sehen, was sie jetzt wieder machen. Und sie enttäuschen mich selten. Neulich etwa, da war so eine, genau vor dem Haus. Sie schien erstmal nichts Besonderes im Sinn zu haben, guckte noch nicht mal zu mir hin, schien sich gar nicht für mich zu interessieren. So zumindest sah es aus. Sie lief einfach nur über die Fahrbahn. Aber dabei hüpfte sie so komisch. Wirklich komisch. Wahrscheinlich habe ich gegrinst und sie hat das mitbekommen. Und dann setzte sie noch einen drauf. Sie machte einen Schritt, schüttelte das linke Bein, lief weiter, schüttelte das rechte Bein und machte dann noch ein bißchen weiter mit der Nummer. Das sah wie eine Charlie Chaplin-Imitation aus, nur ohne Stock und Melone. Aber man sollte auch nicht zuviel erwarten von so einer Krähe. Immerhin hat sie es versucht und es sah gar nicht mal so schlecht aus. Und das Beste daran war: Sie ist danach nicht gleich mit dem Hut herum gegangen, um für ihre Darbietung auch gleich etwas einzuheimsen. Wozu auch? Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie mit anderen Tätigkeiten.

Das soll jetzt nicht heißen, dass die Krähen immer gut gelaunt wären und Spaßvögel in des Wortes vollster Bedeutung. Sie können auch anders. Auf dem Weg zum Einkaufen in der Innenstadt, am Kanal, habe ich mal eine gesehen, die hat da ganz andere Saiten aufgezogen. Zuerst dachte ich: 'Was soll das denn jetzt?' Denn ihr Krächzen wuchs sich zum Gezeter aus und war schon ohrenbetäubend. Natürlich blieb ich stehen, um aus dem Ganzen schlau zu werden.

Da saß also die Krähe auf so einem Bäumchen am Straßenrand, so einem ganz kleinen Baum, der es nie zu etwas bringen wird, so eingezwängt zwischen Fußweg, Zaun und Parkscheinautomaten. Und die Krähe saß auf einem dürren Ast und war schier außer sich. Ich sah da hin, wo sie hinstarrte und sah unten in einem Gebüsch einen jungen roten Kater sitzen. Ihn beschimpfte die Krähe. Unflätig, wie mir schien, aber ich kann das natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Auf jeden Fall putzte sie ihn runter, aber so richtig! Und der Kater tat so, als ob nichts wäre, als ob ihn das Ganze überhaupt nichts angehen würde. Er schaute noch nicht einmal hoch und machte ansonsten einen auf cooler Typ, fing an sich zu putzen als wollte er sagen: 'Leck mich doch – und wenn Du es nicht machst, dann mach ich es selber.' Aber die Krähe hörte einfach nicht auf und das ließ bei dem Kater dann doch die Fassade bröckeln. Er lief ein Stück, legte sich wieder hin, aber es war zu sehen, dass er sich doch nicht mehr so wohl in seinem Fell fühlte. Nicht, dass die Krähe ihn etwa angreifen wollte, das nicht. Aber inzwischen war sie runter geflogen, ihm hinterher, dabei immer auf den Sicherheitsabstand bedacht. Der Kater gab schließlich klein bei und machte sich davon. Er ist nicht weggelaufen, beileibe nicht. Immer schön langsam trollte er sich, sich bloß nichts anmerken lassen. Die Krähe ließ ihn immer noch nicht aus den Augen. Und auch ich bin ein Stück weiter gegangen, um sehen zu können, wie die Sache ausging. Sie ging nicht aus. Der Kater verschwand zwischen Beeten und Büschen, die Krähe flatterte herum und verschwand dann ebenfalls. Nur ich stand am Ende noch da und hatte noch immer das Gezeter im Ohr. Und ich wusste immer noch nicht, um was es denn nun eigentlich gegangen war.

Dabei höre ich das gar nicht so ungern, das Krächzen als Solo oder im Chor, wenn es durch die Luft kommt, aus der Luft, von oben und von Weitem. Das ist kein Gesang, überhaupt nicht, soviel dürfte wohl sicher sein, aber reiner Krach ist es auch nicht. Es ist laut, scharf, man hört sofort, dass es von einem Tier kommt, von einem schwarzen Tier, das über unseren Köpfen kreist. Aber was genau bekommen wir denn da zu hören? Ich verstehe ein wortloses Nein, eine ganze wortlose Sprache, oder besser: eine Einwortsprache mit nur einer Vokabel: Nein. Kein Wunder, dass der Kater den Schwanz hängen ließ und ihn dann schließlich eingeklemmt hat. Soviel schwarzes Nein wird einem selbst dann leicht zuviel, wenn man sogar vier Beine hat, auf denen man im Leben stehen kann. Ich bin da nicht so gut beieinander, schließlich habe ich nur zwei. Und die werden auch schon ganz weich, wenn ich daran denke, wie weit ich noch zu laufen habe.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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