Donnerstag, 31. Oktober 2013

Zur Psychologie der Gebrauchsgegenstände (Teil 3)

Gewalt ist keine Lösung! Mit diesem Slogan bin ich groß geworden, aber heute - heute glaube ich nicht mehr daran. Niemand hat je daran geglaubt, auch die nicht, die ihn so lauthals verkündet haben. Es gab da immer diese Klausel: 'Nun ja ... äh ... Gewalt gegen Dinge kann unter Umständen in Ordnung sein.' Ich bin da radikaler: Gewalt gegen Dinge ist nicht nur 'unter Umständen in Ordnung', sie ist sogar nötig, wenn die Dinge nicht richtig spuren wollen!

Es ist kalt geworden in den letzten Wochen. Auch ich gehöre zu den Vielen, die an das ungeschriebene Gesetz glauben: Erst ab Oktober wird geheizt! ... und so hustete und schniefte ich mich durch die letzten Septembertage. Ich haderte mit meinem Vorsatz und trotzte mir schließlich einen Kompromiss ab: 'Na gut ... zumindest im Bad kann ich die Heizung schon mal aufdrehen.' Sie müssen wissen: Ich dusche nämlich nackt - was den Nachteil hat, dass ich (außer vielleicht an den tropischen Tagen des Juli) immer ein wenig fröstelnd in die Duschkabine steige und aus ihr wieder heraus komme.

Und wie das so ist mit den Kompromissen: Dadurch, dass ich den Heizkörper im Bad aufdrehte, war das Eis gebrochen ... und ich wollte es auch im Wohnzimmer von nun an mollig warm haben. Vor allem, als die Abende merklich kühler wurden. Aber es war doch noch September! Mit schlechtem Gewissen legte ich Hand an den Regler. 'Nur ein bisschen', sagte ich mir. Aber das kleine bisschen reichte nicht. Das erwartete Rauschen, Gurgeln und Plätschern blieb aus: Da drehte ich voll auf - noch immer kein Laut, keine Wärme, kein Garnichts.

Und jetzt, erst jetzt, als ich einsehen musste, dass der Heizkörper nicht funktionierte, fing ich so richtig an zu frieren. Vorher habe ich gleichsam spielerisch gebibbert ... jetzt war es bitterer Ernst. Ich trat einen Schritt zurück, sah den Heizkörper mit festem Blick an und fragte: "Warum tust Du mir das an? Monatelang habe ich Dich in Ruhe gelassen ... ich habe Dir Zeit für Dich selbst gegeben ... nichts musstest Du für mich tun ... Du konntest es Dir so richtig gut gehen lassen ... ohne Sorgen, ohne Verpflichtungen ... ohne alles. Und dann bitte ich Dich um einen kleinen Gefallen, um ein wenig Wärme - und dann kommt nichts, überhaupt nichts ...!"

Der Heizkörper blieb stumm - ebenso gut hätte ich mit der Wand reden können, an der er hängt. Aufgebracht drehte ich noch einmal am Regler - noch immer nichts.

Diese Undankbarkeit erbitterte mich. Hatte er es denn nicht gut bei mir? An dem kleinen Heizkörper im Bad sollte er sich mal ein Beispiel nehmen. Der macht seinen Job! Gut ... er macht ihn so, wie die Lakaien, die in russischen Romanen des 19. Jahrhunderts beschrieben werden: unwillig, bestenfalls halbherzig, unter Ächzen und Stöhnen ... oder in der Heizkörpersprache: mit einem Geräusch, das am ehesten als gestottert spuckendes Pladdern zu beschreiben ist. Aber er macht es! Dabei hat er es bei weitem nicht so gut. Mein Apartment hat nur ein Fenster. Das Bad liegt also selbst in den Sommermonaten im Dunkeln. Nur ein paar Mal am Tag her er menschliche Gesellschaft ... und der Fernseher, das Radio und der CD-Player sind da drin kaum zu hören. Einsam und langweilig ist es in so einem Badezimmer. Dieser Heizkörper hätte also allen Grund, in Depressionen zu verfallen und den Dienst zu verweigern ... vor allem mit der Aussischt, da niemals raus zu kommen. Die einzige Reise, die er noch unternehmen wird, das wird die Reise zum Schrottplatz sein. Und das Letzte, was er von dieser Welt sehen wird, das wird der klaffende Schlund einer Schrottpresse sein. Mir an seiner Stelle würde angesichts einer solchen Aussicht die Lust am Warmwerden gründlich vergehen.

Und auch so war mir schon kalt genug. Es war eine Form der Kälte, die nichts mit Außen- oder Zimmertemperaturen zu tun hat. Draußen schien sogar die Sonne ... einen Nachsommer andeutend. Und ich schichtete Pullover und lange Unterhosen über meinen Körper und hüllte mich in eine Wolldecke. Das half nicht ... konnte nicht helfen gegen diese Kälte, die von innen kam: die eisige Kälte der Enttäuschung, der Verbitterung.

Nein, ich habe nicht nach dem Heizkörper getreten ... ich schlage keine Gebrauchsgegenstände. Aber eingeredet habe ich auch nicht mehr auf ihn ... so sehr war unsere Beziehung zu diesem Zeitpunkt schon abgekühlt.

Auf dem Weg zum Einkaufen traf ich draußen den Mann der Hausverwalterin. Ich schilderte ihm mein Problem und er versprach mir, seine Frau zu informieren. "Síe wird dann bei Ihnen vorbei kommen, mit dem Hammer und dem Schraubenzieher. Das geht dann ganz schnell." Einerseits beruhigte es mich, dass offenbar kein Handwerker eingeschaltet werden musste. Handwerker in der Wohnung - das hat immer etwas von einer Alien-Invasion ... nur dass es schlimmer ist: Außerirdische sind nicht so fremdartig und man kann besser mit ihnen kommunizieren. Zum anderen war ich aber auch beunruhigt: War dieser Mann, der da vor mir stand, denn nicht viel besser für den Job geeignet? Ein regelrechter Bär, so groß, so breit, mit kurzgeschorenem, grauem Haar. Sein bloßer Anblick würde meiner Heizung schon eine panische Hitze durch die Rohre jagen. Aber gut ... dann nicht ... dann eben seine Frau.

Sie kam vorbei und ich musterte sie, wie sie da durch mein Wohnzimmer trippelte. Wo war der versprochene Schraubenzieher, wo der verheißene Hammer? Mit was für Hilfsmitteln wollte sie es mit dem störrischen Heizkörper aufnehmen? Sie müssen wissen: meine Hausverwalterin ist sehr klein, sehr zierlich und die Jüngste ist sie auch nicht mehr. Sie sprach mit leiser, ruhiger Stimme vor sich hin und hielt sich keinen Augenblick damit auf, sich drohend vor dem unbotmäßigen Gerät aufzubauen. Nein, sie ging sofort zur Sache ... schraubte dem Heizkörper routiniert den Regler ab und schlug ihm das Ding mehrmals um die Ohren ... so jedenfalls kam es mir vor ... während ich daneben stand und den Atem anhielt. Sie schlug hart zu, entschieden und doch ohne jede Wut. Sie schlug mit dem Regler auf das ein, was sie durch das Abschrauben freigelegt hatte. Nein, sie brauchte wirklich keinen Hammer ...

Dann lauschte sie ... und es enttäuschte sie, was sie da hörte (oder eben nicht hörte) ... ohne Kommentar, ohne Warnung schlug sie erneut zu ... mehrmals ... hart ... trocken ... Gewalt, die durch ihre Beiläufigkeit nur um so grauenerregender wirkte. Der Regler wurde wieder angeschraubt ... aufgedreht ... und es hatte funktioniert. Die Schläge hatten gesessen und ihre Wirkung nicht verfehlt. Es wurde mir erklärt, dass sich da irgendetwas verklemmt hätte. Ich verstand das alles nicht ... ich war wie betäubt ... als hätte mindestens einer der Schläge auch mich getroffen. Ich bedankte mich überschwänglich und die Hausverwalterin ging.

Vorsichtig, fast ein wenig ungläubig, legte ich die Hand auf den Heizkörper: Er war nicht einfach nur warm, er war richtiggehend heiß. Dieser Heizkörper heizte jetzt, als hinge sein Leben davon ab. Ohne Murren ... und das heißt: ohne Rauschen und Plätschern. Es war fast ein wenig so aus, als hätte ihm das gefallen ... Mir schauderte es bei diesem Gedanken. Gewalt ist also doch eine Lösung, wenn die richtigen Leute sie auf die richtige Art ausüben. Und überhaupt: manche Geräte scheinen das zu brauchen.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Träume
Neulich hatte ich meinen ersten politischen Traum....
PeterMiese - 12. Jun, 13:39
Arme / Frauen
Sympathisch an Sigmund Freud ist, dass er sich so oft...
PeterMiese - 3. Jun, 12:02
Über diese Art Schilder...
Über diese Art Schilder kriege ich auch immer einen...
nömix - 2. Mai, 14:18
Ladendiebstahl
Im Eingangsbereich meines Supermarkts hängt ein richtig...
PeterMiese - 4. Apr, 14:47
Platsch!
Es war einer dieser Tage ... alles war sinnlos. Komischerweise...
PeterMiese - 28. Mär, 14:46

Links

Impressum

Dies ist kein kommerzielles Weblog. Wir haften nicht für die Inhalte von verlinkten Seiten und von Kommentaren. Wenn Sie Ihr Urheberrecht durch Inhalte auf unserem Weblog verletzt sehen sollten oder problematische Inhalte entdecken, kontaktieren Sie uns bitte. Wir schauen dann, was wir tun können. Sie erreichen uns in diesen und anderen Fällen unter mieseundvoss[at]freenet.de.

Web Counter-Modul

Suche

 

Status

Online seit 4129 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren