Donnerstag, 17. Oktober 2013

Die Welt der Komplexe

Meine Damen und Herren, genießen Sie mich, solange Sie mich noch haben. Nein, keine Angst, ich bin nicht krank, aber ich bekomme vielleicht bald einen Job in der einzigen Branche, die wirklich krisensicher ist: in der Pharmaindustrie. Ich habe nämlich festgestellt, dass ich das Talent habe, neue, bisher unbekannte Krankheiten zu entdecken. Denken Sie jetzt nicht, dass ich ein Hypochonder bin. Das bin ich wirklich nicht – zumindest nicht im klassischen Sinn. Wenn überhaupt, dann habe ich eine projektive Hypochondrie. Und damit wäre ich schon bei meinem heutigen Thema. Ich bilde mir nämlich nicht ein, dass ich Krankheiten habe, an denen ich gar nicht leide, sondern ich bilde mir ein, dass andere Leute an Krankheiten leiden, für die es nur noch keinen Namen gibt.

Und hier komme ich ins Spiel - und meine Karrierechancen in der Pharmaindustrie. Die braucht nämlich ständig neue Krankheitsbilder, um immer neue Medikamente - oder genauer: die alten Medikamente in neuen Verpackungen und zum doppelten Preis - auf den Markt bringen zu können. Und auch ich brauche Geld. So einfach kann das Leben sein.

Ich bin auf diese Idee gekommen, als ich einmal beim Surfen im Internet auf ein Interview mit der Schauspielerin Cameron Diaz stieß. Da sagte sie, dass sie gerne Frösche küsst. Ernsthaft! Und nach eigener Aussage glaubt sie gar nicht daran, dass auf diese Weise ein Märchenprinz entstehen könnte. Nein, sie küsst einfach gerne Frösche, denn sie mag diese Tiere.

Aber was, so fragte ich mich, was kann eine erwachsene Frau - zudem noch eine, die ja nun wahrlich jeden halbwegs funktionalen heterosexuellen Mann haben könnte - was um alles in der Welt bringt eine solche Frau dazu, Frösche küssen zu wollen? Und dann hatte ich meine Eingebung: Es gibt da vielleicht eine Form des abweichenden libidinösen Verhaltens, die noch niemandem aufgefallen ist, weil es einfach noch keinen Namen dafür gibt: die Batrachophilie. Es handelt sich darum, dass Personen sich sexuell von Fröschen angezogen fühlen. Wenn Sie es nicht so mit Fremdwörtern haben, können Sie das auch als den Froschkönigskomplex bezeichnen. Aber sparen Sie sich die Mühe, das bei Sigmund Freud nachschlagen zu wollen. Dieser Komplex war ihm unbekannt; da hat der Autor der Traumdeutung schlicht und ergreifend gepennt. Mir soll's recht sein. Ich habe diesen Komplex entdeckt! - Und so begann ich, meine Umwelt mit ganz anderen Augen zu sehen.

Zum Beispiel: Kennen Sie auch Leute, die nie mit der Sprache herausrücken wollen, die geheimniskrämerisch selbst das für sich behalten wollen, was doch eh schon alle wissen? Diese Leute sind krank. Sie leiden ganz eindeutig an einem Rumpelstilzchenkomplex. Zugegeben: Die Diagnose ist nicht so einfach, denn diese Leute hüpfen nicht die ganze Zeit lang im Kreis herum und singen: "Ach, wie gut, dass niemand weiß …" Aber es ist eindeutig. Sie leiden unter einer Verhaltensstörung.

Sehr schlecht kommt man auch mit Leuten klar, die das Sherlock-Holmes-Syndrom befallen hat. Dieser große Meisterdetektiv hat ja bekanntlich die Fähigkeit, aus einem einzigen Stiefelabdruck im Matsch schließen zu können, dass sein Träger unehrenhaft aus der Kolonialarmee entlassen wurde, kurzsichtig ist und seine Kindheit bei den Großeltern in Swansea verbracht hat. Und genau so glauben viele unserer Mitmenschen, aus einer einzigen Äußerung, die wir da mal unbedacht von uns gegeben haben, unsere ganze Biographie und Lebenseinstellung ableiten zu können. Diese Leute sind harmlos ... wenn man einmal davon absieht, dass sie einem ziemlich auf den Zeiger gehen können. Gesellschaftlich akzeptiert ist diese Störung nur dann, wenn diese Leute es an die Uni schaffen und Soziologen werden. Theodor W. Adorno war so einer. Irgendwann in den 40er oder 50er Jahren sah er einmal jemanden orientierungslos durch ein Kaufhaus irren und sofort war ihm klar, wie der Faschismus entstanden sein muss. Ich zitiere: "Die Fülle des wahllos Konsumierten wird unheilvoll. Sie macht es unmöglich, sich zurechtzufinden, und wie man im monströsen Warenhaus nach einem Führer sucht, wartet die zwischen Angeboten eingekeilte Bevölkerung auf den ihren." - 'Der hat ja eine Macke', werden Sie jetzt denken, und Sie haben Recht. Ein ganz klarer Fall von Sherlock-Holmes-Syndrom.

Sie sehen, meine Damen und Herren, wenn man erst einmal die Namen hat, dann sieht man auch die Krankheiten und erst dann ist es möglich, eine Pille dagegen zu entwickeln. Ich verspreche Ihnen, wenn ich den Job bekomme, dann werde ich mit den Chemikern zusammenarbeiten und wir werden die Sache in den Griff bekommen ... jede Sache.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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