Donnerstag, 17. April 2014

Zebrastreifen

Sie glauben wohl, wenn man als Mensch geboren wurde, dann hat man es geschafft, dann ist man eben ein Mensch, die Spitze der Nahrungskette, die Krone der Schöpfung ... Von wegen ... Gehen Sie mal über eine Straße, dann werden Sie schon sehen ... Ein Mensch sind sie nur, wenn und solange die anderen Ihnen das abnehmen. Aber das tun sie eben nicht immer. Auf zwei Beinen aufrecht durch die Gegend zu latschen reicht da nicht. Schauen Sie sich mal die Tauben an, die haben das auch drauf. Denken Sie dran, sagen Sie das leise vor sich hin, wenn Sie mal über einen Zebrastreifen wollen.

Aber was heißt hier "Zebrastreifen"? Diese Fußgängerwechsel sind ja kaum als solche zu erkennen. Wahrscheinlich, um die sensiblen Gemüter der Kraftfahrer nicht traumatisieren. Die weißen Streifen, welche die Fahrbahn kreuzen, beleidigen ihren Glauben, ihre dogmatische Verehrung der Fortbewegung. Wenn ich mal eine Straße überqueren muss, dann bin ich für dieses Gesindel doch gar kein Mensch. In ihren Augen bin ich nur ein Hindernis. Sie sehen, wie schnell die Kultur den Bach runter geht ... Die ganze Zivilisation ist nur soviel wert, wie eine platt gefahrene, zerquetschte Taube am Straßenrand.

Schon gut, es ist mir ja klar, dass ich nur ein Teilzeitmensch bin ... ein lästiges Ding, das nicht mehr oder weniger Daseinsberechtigung hat als einer dieser rotweiß gestreiften Kunststoffhütchen, die von amtlich bestellten Spielverderbern auf die Straßen gestellt werden. Da muss man abbremsen ... Welche Zumutung ... Geradezu Blasphemie. Und ich? Was mache ich? Zu allem Überfluss bewege ich mich auch noch! Schlimme Sache. Kann man aber auch positiv sehen. Es fordert heraus, man hat Gelegenheit, die eigene Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen.

So, meine Damen und Herren, sieht doch die Wirklichkeit aus: Der Mensch ist ein denkendes Hindernis. Aber immerhin: kein bewegliches Ziel ... Zumindest nicht hier bei uns ... Noch nicht. Aber das kommt auch bald. Das denke ich immer wieder, wenn ich meine Einkäufe und mich selbst über den Zebrastreifen schleppe. Die voll gepackten Taschen und der Rucksack beugen mich noch weiter nach unten, als es das Leben ohnehin schon tut. Jetzt nur nicht nach rechts oder links schauen. Im Tierreich, wie auch hier, gilt das als Provokation. Der heranpreschende Fahrer denkt dann: 'Der da guckt schon, der will stehenbleiben, dieser Verlierer …' Aber ich bewege mich, langsam zwar, aber ich bewege mich – und sogar vorwärts. Und ich verfolge euch, ihr Radler und Autofahrer, nicht nur mit Blicken, auch mit Gedanken. Im Mittelalter wurde es von einem Menschen noch als schlechte Nachricht aufgenommen, wenn es hieß, dass man ihn Rädern würde. Heute ist ein Mensch ohne Räder gar kein richtiger Mensch, sondern nur eine bedauerlich primitive Lebensform, die vor ihren eigenen blinden Trieben geschützt werden muss – vor allem dem Trieb, sich einfach so von da nach dort zu bewegen.

Aber trotz meiner gebeugten Haltung bin ich keine Kröte und niemand hat Lust, mich über die Straße zu tragen. Dabei wüßte ich das wirklich zu schätzen. Wehren würde ich mich nicht.

Halten wir fest, meine Damen und Herren, ich bin also weder Mensch noch Kröte und zu suchen habe ich hier, mitten auf der Straße, auch nichts. Mit den Tauben, ja, da ist das schon was anderes ... Die wohnen hier. Das hier ist ihre natürliche Umgebung. Man sieht das schon an der Art, wie sie sich bewegen ... ungezwungen ... geradezu lässig. In ihrer eleganten Verachtung des Straßenverkehrs sind sie das, was auch ich gerne wäre, aber nicht bin, weil ich zuviel denke: Sie sind um einiges menschlicher als ich. Und wenn sie Hände hätten, dann würden sie den Radlern und Autofahrern hin und wieder den Stinkefinger zeigen.

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