Donnerstag, 3. April 2014

Platsch!

Es war einer dieser Tage ... alles war sinnlos. Komischerweise sitzt die Depression bei mir zunächst in den Händen. Die Finger sind zwar in Ordnung, rein körperlich betrachtet, aber der Lebenswillen ist ihnen abhanden gekommen, sie sind müde und bekommen ihr Leben (also auch mein Leben) nicht mehr in den Griff. Alles fällt runter ... Feuerzeuge, Stifte, Zahnbürsten ... manchmal muss ich ein zweites Mal hingreifen, um eine Packung mit Papiertaschentüchern unter einem Wust von Zeitungen und CD-Hüllen herauszufischen.

Ganz düster sieht es aus, wenn es um die Handhabung von Gläsern, Tassen und Bechern geht, die O-Saft, Kaffee oder Tee enthalten. Die kann man leicht ganz oder teilweise verschütten. Anstatt ruhig vor sich hin zu starren, muss man dann fluchend auf allen Vieren kriechen, um die Flüssigkeit möglichst rückstandslos aufzuwischen ... wenn möglich ... wenn es nicht die Zettelwirtschaft trifft. Meine besten Texte gingen verloren und die besten Notizen blieben unausgearbeitet, weil Kaffee oder Säfte sie unleserlich machten ... behaupte ich jetzt jedenfalls.

Unweigerlich dehnt sich die Depression von den Händen ausgehend über den Restkörper aus ... und das Gehirn kriegt das, wie so oft, als letztes mit ... dieses überschätzte Organ. "Hoppla", denkt es sich dann, "ist wohl wieder D-Day" (Es meint damit: Depression Day ... mein Hirn neigt selbst im Krisenzustand zu Anglizismen und billigen Witzen). "Da müssen wir wohl was dagegen unternehmen ..." - Aber weiter kommt es nicht ... Die Augen sind nicht davon abzubringen, einen Fleck in der Auslegware zu fixieren ... "Jetzt aber!", ruft das Gehirn - und alle Körperteile, nicht nur die Hände, zeigen ihm den Stinkefinger ... und damit hat es sich.

Wie tröstlich ist es, dass es auch andere Leute trifft. Wenn das Hirn es endlich geschafft hat, den Körper ín den Supermarkt zu manövrieren (nachdem es eine Stunde lang Guter Bulle/Böser Bulle mit dem Restkörper gespielt hat ... es hat ja auch zwei Hälften und kann also abwechselnd Drohungen ausstoßen und gut zureden), dann, ja dann, wenn es leidlich unfallfrei die Kasse erreicht hat, sitzt da ein Leidensgenosse.

So neulich geschehen. Ein Kassierer-Azubi kassiert schwerfällig vor sich hin und dann gleitet ihm so eine aalglatte Ein-Liter-Plastikflasche mit einem Putz- oder Spülmittel durch die Finger. Alles fällt mal runter ... aber manchmal nicht einfach so ... Da die Dinge wissen, dass sie in ihrem Leben nicht viele Chancen zum Runterfallen haben werden, ziehen einige von ihnen ein ganz große Show ab. So wie diese Flasche, die dem halbherzigen Griff dieses Jungverkäufers entflutschte. Ein kurzer, steiler Bogenflug und dann der jähe Sturz in die Tiefe ... Platsch! ... Der Plastikbehälter wäre wohl gern eine Weinflasche gewesen - zumindest verhielt er sich so: Er zerbrach so, wie es sonst nur Glasflaschen tun und sein kinderspielzeugblauer Inhalt ergoss sich über die Bodenfliesen.

Da hatten meine Augen was zu tun! Das ist schon was anderes, als so ein dröger Fleck auf dem heimischen Teppichboden! Eine ganz andere Liga! In den Fugen zwischen den Fliesen flutete die Substanz voran. Ich stand genau daneben und konnte von allen hier an der Kasse am besten sehen - bis mir klar wurde, dass meine Idealposition zugleich die moralische Verantwortung bedeutete, diesem Schauspiel eine Ende zu bereiten. Eigentlich wäre das die Sache meiner Reflexe gewesen, die Flasche aufzuheben, um noch Schlimmeres zu verhüten ... aber die hatten sich heute krank gemeldet. Also musste ich das selber machen ... was mir schwer fiel ... aber ich tat es dann doch.

Der Jungkassierer rief per Sprechanlage: "Jemand zum Aufwischen an Kasse 1!" Der Flaschenkunde war inzwischen losgespurtet, um eine Ersatzflasche zu holen. Ich hatte also Zeit, mich wieder in den Anblick der Flüssigkeit zu versenken, die sich noch immer über den Boden ausbreitete. Aber es war nicht mehr dasselbe. Abgeschnitten von seiner Quelle, hatte der Putzmitteltümpel viel von seiner Dynamik und Schönheit verloren.

Als ich schon dabei war, meine Einkäufe einzupacken, kam endliche der Aufwischer. Ich hatte jemanden mit Eimer, Schrubber und Putzlappen erwartet - tatsächlich aber rückte ein weiterer junger Mitarbeiter mit einem wahren Ungetüm von Maschine an. Sie dröhnte mehrmals an mir vorbei, sodass ich mich an die Wand drücken musste. Nur nicht in ihr Getriebe geraten, dachte ich, ich wäre verloren. Für den Supermarkt wäre das kein Verlust gewesen, denn ich hatte ja schon bezahlt. Aber eine Frage musste sich mein Selbsterhaltungstrieb dann doch gefallen lassen: Was wäre denn verloren gewesen? - Ja, es war einer dieser Tage, an denen sich diese Frage besonders hartnäckig stellt.

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