Karitative Wegelagerei

In der Fußgängerzone werde ich angesprochen: "Einen guten Tag, der Herr - " Wenn das schon so anfängt, dann bedeutet das nichts Gutes. Es ist eine junge Frau, die mich da angesprochen hat. Farblich ist ihre Kleidung auf die Farben des Infostands abgestimmt, den sie im Rücken hat. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich eine Vision: Dieser Stand ist der Körper eines Monsters ... es ist die Bestie des Humanismus, die Fangarme in Form von jungen Leuten ausgestreckt hat ... ihre Münder sind Saugnäpfe ... verbale Saugnäpfe!

Um dieses Bild (und alles andere) zu verscheuchen, schüttelte ich heftig den Kopf. "Kein guter Tag ... ?", ruft mir der junge Tentakel hinterher und ich beschleunige, ohne es zu wollen, meinen Schritt.

Gibt es wirklich ein Hilfsorganisation, die Ärzte ohne Kinder heißt? Ich habe eben nur mit einem halben Auge hingesehen und darf mich jetzt nicht umdrehen. Wie schnell wird doch von solchen Leuten Neugier mit Interesse verwechselt - und dann setzen sie den fatalen oralen Saugnapf an.

Und weiter. Auf dem Marktplatz werde ich zu einem Slalomlauf gezwungen. Es sind aber nicht irgendwelche Stangen, denen ich hier ausweichen muss, es sind - wieder! - junge Frauen ... junge hübsche Frauen, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Kaum habe ich einen Bogen (einen wie ich meine deutlich als symbolisch erkennbaren Bogen) um die eine geschlagen, laufe ich auch schon der Nächsten in die Arme. Bildlich gesprochen. Denn sie öffnet nicht etwa ihre Arme, als ich da so knapp an ihr vorbei schramme, sondern ihren Mund. Während ich Tempo aufnehme, höre ich noch, dass sie mir etwas von "Naturschutz" hinterher ruft.

Ich überlege: An sich wäre das keine schlechte Methode, Frauen kennenzulernen. Man läßt sich einfach mitten auf dem Marktplatz ansprechen ... man muss gar keine Initiative ergreifen ... stressfrei ... paradiesisch. Und dann muss man einfach nur geschickt vom Thema Regenwald auf andere Feuchtgebiete überleiten. Und wenn sich dann herausstellt, dass die junge Frau, die man für eine politisch engagierte Studentin gehalten hat, in Wirklichkeit eine Achtklässlerin ist, die gerade einen massiven Wachstumsschub in alle mögliche Richtungern erlebt hat und wenn sich dann überdies herausstellt, dass es hier am Marktplatz tatsächlich eine Polizeistation gibt, die in Rufweite (oder besser gesagt: in Kreischweite) liegt, dann kann man sich auf jeden Fall darauf berufen, dass sie ja angefangen hat.

Das alles kann man - wenn man nicht so feige ist wie ich.

Alle diese Gedanken beschäftigten mich auch noch auf dem Rückweg, als ich mit dem Einkaufen fertig war. Sie beschäftigten mich so sehr, dass ich nicht merkte, wie mir schon die nächste karitative Wegelagerin auflauerte. Genauer gesagt: Sie schritt zielstrebig auf mich zu, hielt mir die Hand zum Schütteln hin, ignorierte dabei die Tatsache, dass ich wegen der Einkaufstaschen keine Hand frei hatte und stellte sich mir vor: "Hallo, ich bin Sabrina und - " Und was? Ich weiß es nicht, denn ich bin geflohen. So viel Entschlossenheit macht mir Angst ... am Ende hätte sie mir nicht nur die Hand geschüttelt, sondern mich auch anderweitig angefasst ... überall ... weil der Zweck die Mittel heiligt. Damit muss man rechnen.

Sie halten das für übertrieben? Dann denken Sie mal nach: Wenn sich jemand erst einmal für einen guten Menschen hält, der den Auftrag hat, Gutes zu tun, dann wird er gefährlich. Er wird unberechenbar, denn er glaubt, nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zu haben, um des Guten willen alle Regeln des Anstands und der Sittlichkeit außer Acht lassen zu dürfen ... schlimmer noch: zu müssen. Das Ergebnis? Wenn die Menschen zu gut werden, dann wird die Welt wieder ein bißchen schlechter. Ich merke das daran, dass ich jetzt doppelt so lange zum Einkaufen brauche, denn ich kann mich von nun an nur noch durch abgelegene Seitenstraßen an meinen Supermarkt heran pirschen. Denn zum Glück gibt es keine guten Menschen jenseits der Fußgängerzone.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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