Mein Energieversorger übertreibt es jetzt aber ... denn er versorgt mich nicht nur mit dem Strom für meine Elektrogeräte, er elektrisiert mich auch durch die Briefe, die er mir gelegentlich schickt. Wenn ich einen davon in meinem Briefkasten finde, habe ich immer das Gefühl: jetzt zwingt dich einer dazu, dir die Finger nass zu machen und tief, ganz tief in eine Steckdose zu greifen. Und entsprechend stehe ich dann da vor dem Briefkasten ... den hastig aufgerissenen Brief in der Hand ... am ganzen Leibe zitternd und mit gesträubten Haaren ... letzteres im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten.
So auch heute: mein Stromversorger nötigt mir die Nachzahlung von 50 Euro ab ... musste ich da lesen. Zumindest glaubte ich, das aus dem kleingedruckten tabellarischen Wirrwarr herauslesen zu müssen. Kein Wunder also, dass ich abgelenkt war ... sowie mürrisch, einsilbig und reserviert ... als mich da doch eine Nachbarin ansprach.
Sie beklagte sich bei mir darüber, dass die Bepflanzung rund um unser Haus ja so schäbig aussehen würde. Dass ihr das gegen den Strich ging war klar. Denn so sieht sie schon aus: Wahrscheinlich steht sie immer schon vor dem Morgengrauen auf, um den Lidschatten aufzutragen und sich die Lippen nachzuziehen. An ihrer hochtoupierten Frisur allerdings braucht sie nichts zu machen - nichts auf dieser Welt, rein gar nichts, könnte dieser Frisur etwas anhaben. Als Frühsport macht diese Frau dann wohl einen wohlgezielten Sprung in das geschmackvolle Kostüm. Hat ihr Gesicht einen natürliche Farbe? Was für eine Frage! Diese Bräune ist ein stummer und unversöhnlicher Protest gegen eine Natur, die sich einfach keine Mühe mit sich gibt, die nicht auf ihr Äußeres achtet, die alles, was stramm und grün sein sollte, so aussehen läßt wie das Apartment eines arbeitslosen Junggesellen.
Nun ... ich bin ein arbeitsloser Junggeselle ... und so gesehen war sie an den ganz und gar Falschen geraten. "Jaja", sagte ich. Ob mir das denn nicht auch schon aufgefallen sei? "Jaja", sagte ich. Ob das denn nicht ein unhaltbarer Zustand sei, wo wir doch so viel Miete zahlen? "Jaja." Ob man sich da nicht mal beschweren müßte? "Jajaa." Bei der Hausverwaltung? "Jaajaa."
Soviel Zustimmung zermürbte diese adrette Dame, laugte sie aus, bis sie selber schon ein wenig so aussah, wie eine durch einen langen Winter lädierte Grünanlage. Ich kann da manchmal, aus gegebenem Anlass, recht gnadenlos sein: Mit einem Letzten "Jaja!" gab ich ihr den Rest ... ich rief es ihr nach, als sie im Treppenhaus verschwand.
Jaja, dachte ich, man sollte dem schlappen, zerknautschten und ablelebten Grünzeug mal richtig Feuer unter den Wurzeln machen ... mal so richtig in die Zweige treten, bis ihm die Triebe zu Berge stehen! Jaja! Gebt ihnen Strom ... bei mir funktioniert das doch auch! ... Elektroschocks wären das Richtige! Aber bitte - bitte! - nicht auf meine Rechnung.
PeterMiese - 30. Mai, 11:15
Gleich am Anfang seines Buches Vom Nachteil, geboren zu sein schreibt der Philosoph Emile Cioran den durch und durch wahren Satz: "Wir rennen nicht dem Tod entgegen, wir fliehen vor den Katastrophe der Geburt." So sehr ich diese Ansicht auch teile, muss ich sie doch für meinen speziellen Fall geringfügig abwandeln: Jedes Jahr von Neuem fliehe ich vor der Katastrophe meines Geburtstages. Meine Freunde und Bekannten haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass an besagtem Tag bei mir keine Party oder Fete (oder wie man das auch immer nennen will) zu erwarten ist. Sie haben gelernt, damit zu leben ... und der Umstand, dass ich konsequenterweise keine Geschenke von ihnen erwarte, macht die Sache für sie erträglicher.
So gesehen muss ich also nicht wirklich die Flucht ergreifen und mich unter Vortäuschung einer anderen Identität an einem sicheren Ort verstecken, um mich dem Zugriff von Gratulationsbesessenen und Feierfreudigen zu entziehen. Ich kann in meinen eigenen vier Wänden ausharren und mich bei Kaffee und Kuchen darauf konzentrieren, meine ganz individuelle Abneigung gegen Geburtstagsfeiern zur philosophischen Theorie zu überhöhen.
Das ist ganz einfach, denn es gibt eine ganze Reihe von stichhaltigen Gründen dafür, das Jubiläum des eigenen Eintritts in diese Welt nicht festlich zu begehen: 1. Der Tag, an dem wir auf diese Welt gekommen sind, kann gar kein Anlass zum Feiern sein, da er den Anfang eines Lebens in Leiden, Enttäuschung und Überdruss darstellt; 2. Käme es unter diesen Umständen zu einer Feier, dann würde mich das mit einer ausgewachsenen Horde von Menschen konfrontieren, die meine Ansicht über das Leben weder teilen noch verstehen; 3. Würde ich im Rahmen der Festivitäten versuchen, ihnen diese meine Auffassung verständlich zu machen, würden sie vor jedem Versuch, etwas zu begreifen, erst einmal den Versuch machen, mir diese Auffassung wieder auszureden – was erfahrungsgemäß zu schlechter Stimmung bei allen Beteiligten führt; 4. Ich wäre also an diesem Tag nicht nur mit diesen Menschen, sondern auch und vor allem mit der Einsicht konfrontiert, dass ich diesen Tag, an dem es nichts zu feiern gibt, mit Leuten verbringen müßte, mit denen ich eigentlich nichts gemeinsam habe; 5. Ein Geburtstag, den man mit seinen Freunden feiert, führt also unweigerlich zu der Erkenntnis, dass man gar keine Freunde hat, denn der Begriff der Freundschaft impliziert eine Übereinstimmung in den grundsätzlichen Ansichten; 6. Wer seinen Geburtstag feiert, der ist also allein unter Fremden und so gesehen wäre es von vornherein besser gewesen, diesen Tag in aller Stille und Abgeschiedenheit vorüber gehen zu lassen.
Aber das ist noch nicht alles. Nicht nur das so genannte Geburtstagskind ist ein Leidtragender dieses verhängnisvollen Datums und einer latenten Partystimmung der Mitmenschen, die nur auf eine Gelegenheit wartet, um auszubrechen. Auch die arglosen Gäste werden zu Opfern dieses Schicksalstages. Erfahrungsgemäß sind die Bekanntschaften, die man im Laufe seines Lebens angesammelt hat, nicht miteinander verträglich. Eine Geburtstagsparty entfremdet uns nicht nur (wie unter 5. bereits ausgeführt) von unseren vermeintlichen Freunden, es gilt auch, dass die vermeintlichen Freunde für einander Fremde sind – und bleiben, denn sie sind oft so verschieden voneinander, dass eine Annäherung so gut wie ausgeschlossen ist. Selbst so etwas wie den Schein einer Annäherung kann es nur unter der Bedingung geben, dass man ihnen Alkohol auftischt und möglichst laute Musik auflegt. Eine Geburtstagsparty ohne den Einsatz von Spirituosen und Popmusik ist nicht nur undenkbar, sondern auch gefährlich und wird unweigerlich in einem Debakel enden. Was nicht heißen soll, dass das Gegenteil besser wäre. Denn da jedes Heilmittel auch Neben- und Nachwirkungen hat, ist hier zu beachten, dass die scheinbare Annäherung unserer fremden Freunde zu dem Irrglauben ihrerseits führt, eine richtig geile Party gefeiert zu haben. Diese Illusion hält nicht selten bis in die frühen Morgenstunden des Folgetages an und bewirkt das Entstehen einer angenehmen Erinnerung, die ihrerseits zu der weiteren Illusion führt, dass es im nächsten Jahr auch wieder so toll werden wird.
Wenn wir also eine Lehre aus dem Feiern von Geburtstagen ziehen können, dann diese: Geboren zu sein heißt, zu einem Leben verurteilt zu sein, das im Wesentlichen aus einander bestärkenden Illusionen besteht, deren Wirkung keineswegs dadurch abgeschwächt wird, dass wir sie als Illusionen durchschaut haben. Und im Grunde ist es noch schlimmer. Um noch einmal Cioran zu zitieren: "Die Illusion gebiert die Welt und erhält sie aufrecht, man zerstört jene nicht ohne diese."
Im Großen und Ganzen gleicht die menschliche Existenz nämlich einem Pauschalurlaub, bei dem einen der Veranstalter – wer immer er sein mag – nach allen Regeln der Kunst über den Tisch zieht. Bevor man gezeugt wurde, denkt man sich nämlich: 'Dieses Nichtsein ist auf die Dauer auch ziemlich öde. Ich brauche dringend mal einen Tapetenwechsel.' Mit der Zeugung betritt man dann das mütterliche Reisebüro und gewinnt sofort einen falschen Eindruck von dem, was einen da draußen in der Welt und im Leben erwartet. Die Gebärmutter ist der Prospekt, in dem alle Dinge in leuchtenden Farben erscheinen, wo es keinen Regen, keine Baustellen und kein Ungeziefer in der Küche gibt. Also macht man sich frohen Mutes auf den Weg durch den Geburtskanal und liest, kurz vor dem Ausgang und wenn es zu spät zum Umkehren ist, das Hinweisschild: Laßt jede Hoffnung fahren, die ihr mich durchschreitet.
Wie Sie sich inzwischen denken können, feiere ich nicht nur keinen meiner Geburtstage, ich fahre auch nie in Urlaub. Wozu auch. Eines Tages werde ich die richtig große Reise antreten ... die größte, die es gibt ... und in das Nichts zurückkehren, aus dem ich einst unter Vorspiegelung falscher Tatsachen herausgelockt worden bin ... und dann, erst dann, werde ich einen Grund haben, mal so richtig die Sau raus zu lassen.
P.S.
Selbstkritisch habe ich anzumerken: Das alles hier hätte man auch kürzer sagen können ... kürzer jedenfalls als Schopenhauer und Cioran mit ihren ausgewachsenen Büchern. Der Philosoph und Psychologe Julius Bahnsen überliefert uns folgenden Stoßseufzer eines Schülers: "Der Mensch wird überall zu wenig gefragt, ob er mit dem zufrieden ist, was mit ihm unternommen werden soll: er wird nicht einmal gefragt, ob er zur Welt kommen wolle oder nicht, und das ist ein großes Übel, denn man gerät in große Verlegenheit oft bloß, weil man auf der Welt ist, und andere Leute nehmen es einem noch dazu übel." (Zitiert nach L. Lütkehaus, Nichts, S. 268)
PeterMiese - 16. Mai, 11:15
Ich werde langsam alt. Woran ich das merke? Ich kaufe Dinge, die ich früher nie gebraucht habe, Dinge, von denen ich nicht einmal gedacht hätte, dass ich sie jemals brauchen würde ... paranormale Dinge ... also Dinge, die jenseits meiner Vorstellungswelt lagen. Und trotzdem gibt es sie. Sogar in sehr verschiedenen Ausführungen und verschiedenen Preislagen ... da, in den Regalen der Drogerie.
Ich rede hier vom Hornhauthobel. Es gibt ihn wirklich ... obwohl ich den Berichten, die mir über seine Existenz bislang zugetragen wurden, keinen Glauben geschenkt habe ... und jetzt stehe ich da und schaue ihn mir mit eigenen Augen an ... oder genauer: sie, denn es gibt sie, wie das meiste in der Welt, in den verschiedensten Ausführungen.
Ich brauche ihn. Und dabei laufe ich doch gar nicht soviel in der Gegend herum. Trotzdem hat sich da etwas an meinen Zehen gebildet, an den großen Zehen ... also an beiden ... in schönster Symetrie, rechts und links: verhärtete Höcker ... und es schmerzt jetzt manchmal bein Laufen. Höchste Zeit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Und noch immer stehe ich vor dem Regal und kann mich nicht entscheiden. Also befolge ich meine allgemeinste Maxime: Im Zweifelsfall immer das Billigste. Und billig sieht das Ding, nach dem ich greife, auch wirklich aus ... billig und plump ... Plastik, das in Plastik eingeschweißt wurde. Das Einzige, was daran aus Metall ist, das ist die grobkörnige Oberfläche, also die eigentliche Hobelfläche ... wie ich annehme.
Ganz gegen meine Natur versuche ich, der Sache etwas Positives abzugewinnen, rede mir ein, dass es doch eigentlich eine ganz aufregende Sache ist: eine neue Erfahrung steht mir bevor, etwas, was man später gelassen in die Unterhaltung beim Kaffeetrinken einfließen lassen kann. Angst habe ich nicht. Normalerweise komme ich mit neuen Technologien einigermaßen klar ... also ist kein Blutvergießen zu befürchten, kein Desaster, keine Katastrophe. Ich werde mir wohl kaum einen Zeh amputieren ... nichts wird geschehen, was in der Notaufnahme des hiesigen Universitätsklinikums zu Kopfschütteln führt oder dazu, dass die Ärzte etwas zu sehen bekommen, was sie dann später einmal gelassen in die Unterhaltung beim Kaffeetrinken einfließen lassen können. Es wird also kein Hornhauthobel-Massaker geben.
Ein schöner Titel übrigens für einen billigen Horrorfilm ... einen von denen, die dann am Samstagabend auf Tele 5 gezeigt werden ... Langsam finde ich Gefallen an der Idee ... Überlegen Sie mal! Haben Sie je einen Horrorfilm oder einen Krimi gesehen, in dem ein Hornhauthobel die Tatwaffe war? Zugegeben: Das ist nicht gerade die naheliegendste Idee für ein Drehbuch - aber alles andere war ja nun wirklich schon mal da ... und das dann auch noch wieder und wieder.
Das Hornhauthobel-Massaker, ein Schocker für die ganze Familie - zumindest für alle, die Angst vor dem Älterwerden haben ... also doch für ein Massenpublikum. Ich sehe den Streifen schon vor meinem geistigen Auge. Ein Psychopath treibt sein Unwesen ... die BILD-Zeitung würde so einen den "Horror-Hobler" nennen ... (und sein bester Freund ist die Bestie mit der Nervensäge ...
aber das wäre ein anderer Film ... ein anderes Thema ... ein anderer Text). Das muss eine ganz schön harte Arbeit sein, denke ich mir, die der Horror-Hobler da zu verrichten hat, denn seine Opfer mit einem Hornhauthobel zu Tode zu foltern - leicht ist das bestimmt nicht ... für keinen der Beteiligten. Aber die Hartnäckigkeit und Sorgfalt zeichnen den Film-Psychopathen ja oft aus ...
Und so halte ich dann dieses Gerät in der Hand, das mir mittlerweile doch ein bißchen unheimlich geworden ist. Jetzt bloß mit Bedacht zu Werke gehen, denke ich, bloß nicht zuviel Ehrgeiz entwickeln ... diesen leidigen Perfektionismus ablegen. Muss alles nicht sein. Denn wenn ich doch noch mal Karriere mache, dann bestimmt nicht als Fuß-Model ... oder als Psychopath.
PeterMiese - 2. Mai, 11:15
Ich hab noch gar nichts über meinen Computer gesagt ... das ist auch ein Kapitel für sich. Angefangen hat es damit, dass sich mein Computer einfach wieder von selbst hochgefahren hat, nachdem ich ihn ausgeschaltet hatte. Das war lästig, das war nervig, aber ich dachte mir nichts dabei. Genauer gesagt: Ich dachte mir doch etwas. Ich dachte nämlich, dass es mal wieder ganz typisch ist. Seitdem ich es mit den so genannten "Rechnern" zu tun bekommen habe, wundert mich rein gar nichts mehr. Ich habe mich in einer schon fast buddhistischen Art damit abgefunden, dass diese Maschinen eben Dinge tun, die ich nicht verstehe – und das meistens dann, wenn es zeitlich gerade überhaupt nicht passt. Etwa wenn ich noch schnell etwas schreibe, bevor ich zum Essen gehen will. Ich kann dann sicher sein, dass es sich mein Computer, kurz bevor er sich herunter gefahren hat, noch einmal anders überlegt und wieder hoch fährt. Man kennt das bei Menschen unter der Bezeichnung "Zwangshandlung": Genau so wie ich immer wieder im Flur umkehre, um noch einmal nachzusehen, ob ich denn die Wohnungstür auch wirklich abgeschlossen habe, so macht auch mein Computer manchmal kehrt und schaut nach – was weiß ich? – ob er auch wirklich alle Dateien zugemacht hat. So zumindest stelle ich mir die Sache vor. Er ist eben einer von uns, wenn er auch ein bißchen anders aussieht, aber in einer multikulturellen Gesellschaft sollte das ja nun kein Problem mehr sein.
Wie gesagt: Über diese Dinge zerbreche ich mir schon lange nicht mehr den Kopf. Ich habe keine Ahnung von diesen elektrischen Dingern. Wie es in ihrem Inneren aussieht, will ich gar nicht wissen, und wie das technisch alles möglich ist, das zu tun, was ich mit meinem Computer gewöhnlich tue: Das ist für mich ein einziges großes Mysterium – vielleicht das letzte Mysterium, an das ich, ein aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts überhaupt noch glaube.
Und dann kam der Tag, an dem mir klar wurde, dass auch die Toleranz ihre Grenzen haben sollte. Ich kam nach Hause und der Computer lief, obwohl ich ihn schon am Tag vorher ausgeschaltet und an diesem Tag noch gar nicht benutzt hatte. Und er lief nicht nur, er arbeitete.
Sie werden jetzt vielleicht sagen: 'Dafür ist er ja auch da, um zu arbeiten und uns Menschen zu entlasten.' Das stimmt, dazu ist er da, aber nicht dafür, Tagebuch zu führen. Ein Computer soll gefälligst das tun, was wir, genauer: was ich ihm sage – und sonst nichts. Er soll keine Gedanken und kein Gefühlsleben haben. Na gut, ich will nicht so hart sein: Soll er ruhig eine Seele haben, von mir aus. Aber er soll auf keinen Fall eine neue Datei öffnen und selbständig zu tippen beginnen, um all das zu notieren, was ihn tagtäglich belastet und bewegt.
Haben Sie schon einmal das Tagebuch eines Computers gelesen? Dumme Frage, ich weiß. Ich weiß auch, dass es sich eigentlich nicht gehört, die geheimen Notizen anderer Leute zu lesen. Aber wie dem auch sei: Das war kein Spaß. Vor allem, weil ich selbst in diesen Aufzeichnungen vorkomme – und zwar auf eine Art und Weise, die nicht immer schmeichelhaft ist. Ich weiß nicht, wo er diese Ausdrücke her hat. Er dürfte sie gar nicht kennen.
In einem Text habe ich ja mal das Wort "Muschi" gebraucht – und es war nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken, es ging – natürlich – um Katzen. Und sofort hat mir das Rechtschreibprogramm eine rote Wellenlinie darunter gesetzt. Die Rechtschreibprüfung kannte das Wort nicht und wie alle Leute ging sie erst einmal davon aus, dass natürlich der andere den Fehler gemacht hat. Und wissen Sie, was dieser digitale Klugscheißer mir als Alternative angeboten hat? "Moschee"! Soviel zum Thema, wie weit sein intellektueller Horizont reicht ... (oder wollte er sich damit etwa über die Islamisten lustig machen? ... auf hintergründige Art?)
Mein Computer hat also keine besonders hohe Meinung von mir, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Er verachtet mich nicht nur, er macht sich auch über mich lustig. Das sieht man ja schon daran, dass er sein Tun und Treiben nicht vor mir zu verheimlichen sucht. Er macht das alles ganz offen und vor meinen Augen.
Seit Neuestem begnügt er sich nicht mehr damit, an eigenen Texten zu arbeiten. Mit Entsetzen habe ich festgestellt, genauer: andere haben mich mit Schaum vor dem Mund darauf aufmerksam gemacht, dass meine Texte nicht so sind, wie sie sein sollten. Und tatsächlich: Mein Computer pfuscht in ihnen herum ... er denkt sich absurde oder lustige Geschichten aus, die er mit mehr oder minder gelungenen Scherzen garniert ... er albert nur herum!
Aber ich wehre mich und zwar auf meine Art: subtil nämlich. Ich lasse Prospekte in seiner Nähe herumliegen, da, wo er sie gar nicht übersehen kann. Schöne bunte Prospekte mit jungen und hübschen und willigen Laptops. Er soll sich diese Laptops beim Lapdance vorstellen ... da kann er nicht mithalten. Das bringt ihn hoffentlich zur Räson.
Seitdem ich weiß, dass er mir solche Streiche spielt, lese ich alle Texte noch einmal schnell durch, bevor ich sie aus der Hand gebe, am besten auf einem anderen, einem willfährigen Gerät. Aber immer funktioniert das auch nicht. Sie verstehen: der Stress, die Hektik, der Termindruck.
Wenn Ihnen also etwas seltsam vorkommt an dem, was Sie hier lesen, dann geben Sie nicht mir die Schuld. Wahrscheinlich hat der Computer sich wieder einmal eingemischt – wenn nicht gar der ganze Text von ihm ist und nur so aussieht, als wäre er von mir. Zutrauen würde ich ihm das schon. Er ist schlau.
PeterMiese - 18. Apr, 11:17
Das haben wir alle schon mal gedacht: "Die Dinge sind gegen mich!" Meiner Meinung nach kann das durchaus schon mal passieren, aber die Regel ist das nicht ... was daran liegt, dass diese Dinge schon genug mit sich selber zu tun haben. Sie haben ihre eigenen Probleme ... und das nicht zu knapp. So gesehen ist es schon erstaunlich, dass sie sich gelegentlich die Zeit nehmen, uns den einen oder anderen Gefallen zu tun.
Nehmen wir da mal meinen Fernseher. Das ist noch so ein Vertreter der alten Schule ... so ein großer klobiger und klotziger Kasten eben. Und er ist ganz schwarz. Das läßt nichts Gutes ahnen ... und es ist auch so: Es geht ihm nicht so gut ... er ist depressiv ... eindeutig. Ich erkenne das daran, dass sein Bild manchmal dunkler wird ... und der Ton wird dann auch immer leiser. Man merkt es ihm an: Er will nicht mehr. Meist ist das im Winter so ... im Sommer geht es ihm besser: da zeigt er Filme, Dokumentationen und Serien in den leuchtendsten Farben ... und in voller Lautstärke ... ich muss ihn da regelrecht bändigen ... mit Hilfe eines seiner engsten Verwandten: der Fernbedienung. Aber auch sie hat so ihre dunklen Phasen. Manche ihrer Tasten funktionieren nicht mehr ... andere nur, wenn es etwas zu feiern gibt. Die Depression scheint hier in der Familie zu liegen ... manche Psychologen behaupten ja sowas ... also Psychologen, die für Menschen zuständig sind ... aber das gilt auch für den Bereich der Unterhaltungselektronik.
Jetzt werden Sie sagen: "Quatsch ... das ist keine Depression, das mit dem Dunkler- und Leiserwerden ... das ist eine Form von Widerstand!" Sie werden sagen: ""Ihr Fernseher empört sich ... er ist offenbar nicht nur so alt, sondern auch so wütend wie dieser Hessel ... der übrigens neulich gestorben ist, was kein gutes Zeichen für Ihren Fernseher ist ... auch Ihr Fernseher protestiert dagegen, eingelullt zu werden ... selbst die Nachrichten, selbst die politischen Talkshows: alles nur Gedudel!"
Mag sein, aber da kennen Sie meinen Fernseher schlecht. Ich kenne ihn schon länger ... sehr lange ... und sehr gut. So ist er nicht drauf. Eher könnte das schon bei meinem CD-Player so sein. Das ist ein ganz anderer Charakter. Er ist mehr der manische Typ. Das sieht man schon daran, mit welcher irrsinnigen, völlig übertriebenen Geschwindigkeit er die kleinen Silberscheiben dreht. Aber das fällt einem nur auf, wenn man, wie ich, mit den großen schwarzen Vinylplatten groß geworden ist ... das lief viel langsamer und funktionierte doch auch. Und wie das mit den Manikern so ist: sie überreagieren und zicken herum, wenn ihnen irgend etwas nicht passt ... Der CD-Player tut dann so, als wäre es eine Strapaze jetzt diese CD mit dieser Musik abzuspielen. Er holpert und stolpert durch so manchen Track ... und bricht manchmal sogar demonstrativ und theatralisch mitten in einem Song zusammen ... der Arsch ... gefällt sich in der Pose des Gemarterten, der unter der Last des Seins zusammenbricht ... Jim Morrison hat das auch gemacht ... ich meine: auf der Bühne mitten in einem Song demonstrativ und theatralisch zusammenbrechen.
So einer ist das ... Ich kenne ihn ... und durchschaue ihn ... und verlogen ist er obendrein (ich rede jetzt wieder über meinen CD-Player!). Manchmal lege ich eine CD ein und er macht sich an die Arbeit ... oder tut zumindest so. Er rackert und ackert ... scheinbar. Dreht die Scheibe hin und her, läßt sie auf Hochtouren laufen ... dann schwächelt er ... kann nicht mehr. Und dann: Gipfel der Unverschämtheit, lügt er mir ganz frech ins Gesicht: "no disc" Hält mich wohl für Klein Doofi ... traut mir nur ein ganz dürftiges Kurzzeitgedächtnis zu!
Was lernen wir daraus? Manche Gebrauchsgegenstände sollte man gar nicht reparieren, sondern therapieren.
Da lobe ich mir doch meine Einwegfeuerzeuge. Auf die ist Verlass. Keine Macken, keine Tücken, zuverlässig bis zum Ende ... echte Kameraden eben. Jaja, ich weiß: einer wie Adorno würde sie gerade deshalb als "autoritätsgebundene Charaktere" bezeichnen ... auf seiner Faschismusskala ganz tief im braunen Bereich. Ich höre den kritischen Frankfurter geradezu poltern: Diese Einwegfeuerzeuge sind ein Musterbeispiel totalitätskonformer Pflichterfüllung. Affirmativ versehen sie ihren Dienst bis ihnen das Gas ausgeht, um sich dann klaglos wegwerfen zu lassen. An ihnen ließe sich leicht die Mentalität des idealen Soldaten studieren. Und so weiter bis zum bitteren Ende der Negativen Dialektik.
Sie sehen: auch ich habe einmal eine politische Grundausbildung abgeleistet. Das war damals: in der Basisgruppe Germanistik. Da habe ich auch und vor allem gelernt, wie man eine Bierflasche mit einem Feuerzeug öffnet ... wie man Weinflaschen ohne Korkenzieher auf bekommt, habe ich erst später erfahren ... in der Basisgruppe Philosophie. Und da wir gerade so angeregt über die Philosophie plaudern: In diesem Studienfach lernt man eine ganze Menge von Begriffen, mit denen man arglose Mitmenschen auf Feten beeindrucken kann. "Panpsychismus" ist einer davon. Er bezeichnet eine sehr nachvollziehbare Ansicht: So ein Ding ist auch nur ein Mensch.
PeterMiese - 28. Mär, 11:52
Neulich hatte ich einen sehr seltsamen Traum. Ich stand mit meiner Kamera vor einem großen, festlich erleuchteten Gebäude in einer Menge von Fotoreportern, die alle an einem roten Teppich auf die Ankunft einer Celebrity warteten. Eine Limousine fuhr vor, und schon ging ein Raunen durch die Menge ... es blitzte überall um mich herum. Paris Hilton stieg aus und lächelte uns an. Sie lächelte das Lächeln, für das sie bekannt ist ... mit versonnenem Blick, ohne die Zähne zu zeigen. Überirdisch ... bezaubernd. Sie ging einige Schritte, posierte für die Kameras, und schritt dann wieder den roten Teppich hinab. Auch ich wollte ein Foto von ihr machen und ich lockte sie an: "Gucci, gucci, gucci …", rief ich ihr zu: "Gucci, gucci, gucci …"
Und dann geschah es. Sie schaute mir nicht nur in die Augen, sie kam auch direkt auf mich zu. Ich ließ die Kamera sinken. Es war wie einer dieser magischen Momente wie in einem Film, wo zwei Menschen alles um sich herum vergessen ... wo alles in den Hintergrund tritt und nur noch Musik zu hören ist. Und auch ich hörte in diesem Moment etwas. Nur war es keine Musik. Es war ein Knirschen. Als ich einen Schritt auf sie zu gemacht hatte, hatte ich wohl aus Versehen eine Küchenschabe zertreten. Aber ich kümmerte mich nicht darum, denn Paris Hilton sprach zu mir: "Du", sagte sie zu mir, "du wirst mich unsterblich machen." – Und dann bin ich aufgewacht.
Es klingt vielleicht seltsam, aber vielleicht ist Ihnen das auch schon aufgefallen: Auf manchen Fotos, meine ich, sieht Paris Hilton fast ein wenig wie die Mona Lisa aus. Halten Sie mich für verrückt, aber beide haben dieses geheimnisvolle Lächeln. Zugegeben: Ich kenne diese Theorie, die von zynischen Kunsthistorikern aufgestellt wurde. Sie behaupten, das Lächeln der Mona Lisa, dieses überirdische und bezaubernde Lächeln, sei ein Zeichen dafür, dass sie geistesgestört war.
Nun, wie das mit manchen Träumen so ist: Sie gehen einem den ganzen Tag lang nicht mehr aus dem Kopf. Und nicht zu vergessen: Es gibt auf dieser Welt Kulturen, in denen gelten die Träume als Botschaften höherer Mächte. Und dass Paris Hilton eine höhere Macht ist, vor allem in finanzieller Hinsicht, wird wohl niemand ernsthaft bestreiten wollen. Sollte sie mir wirklich auf diese übersinnliche Art und Weise den Auftrag gegeben haben, sie zu verewigen?
Da wäre nun die Frage: Wie macht man so etwas? Und das bringt mich zurück auf ihre Ähnlichkeit mit der Mona Lisa. Im Gegensatz zu den meisten von uns, hatte das Leben der Mona Lisa ja einen Sinn: Sie wurde geboren, hat sich malen lassen und starb. Und das allein hat sie in die Ewigkeit eingehen lassen. Was sie sonst noch so gemacht hat, das interessiert doch keinen mehr. Aber ohne sie würde es eines der größten Kunstwerke der Menschheit nicht geben.
Vielleicht wird das Lächeln der Mona Lisa das Einzige sein, was von der gesamten Menschheit übrig bleibt. Schon möglich ... Aber vielleicht wird das einzige Überbleibsel der Menschheit das sein, was ich jetzt gerade über Paris Hilton schreibe. Stellen Sie sich einmal vor, durch einen dummen Zufall oder eine Fügung des Schicksals ist alles, was von uns in zehntausend Jahren noch existiert, nur ein vergammelter USB-Stick mit meinen Texten. Und nach einhelliger Meinung der Kakerlaken, die uns in der Evolution als Krone der Schöpfung abgelöst haben, ist es der beste Text, den ich, dieser anonyme Autor einer finsteren Vergangenheit, je geschrieben habe. Dann hätte ich es tatsächlich geschafft. Mein Model, Paris Hilton, wäre unsterblich geworden, weil sie ein unsterbliches Werk inspiriert hat.
Denken Sie darüber nach, wenn sie Ihre nächste Mail herunter tippen und über dies oder jenes lästern. Man weiß nie, was von einem bleibt. Ich ziehe für mich die Lehre daraus, dass ich nichts hinterlassen werde, was mich da in zehntausend Jahren einer intelligenten, kunsthistorisch und literaturwissenschaftlich versierten Kakerlake gegenüber in Verlegenheit bringen könnte.
PeterMiese - 28. Mär, 11:35
O.k., ich gebe zu, die Überschrift ist plakativ und ich werde, wenn Sie den Beitrag von Herrn Miese noch nicht gelesen haben, Ihre Leseerwartung gleich enttäuschen. Denn es geht nicht um das grundsätzliche Ende des weißen Mannes, an den Sie vielleicht gerade gedacht haben und auf dessen Ende Sie hoffen oder dessen Untergang Sie befürchten, sondern um das des süßen kleinen Schneemanns, der übrigens nach allen Regeln der Landart aus ganz und gar natürlichen Materialien (und ich meine jetzt nicht Plutonium) gebaut war, aus Schnee und Steinchen und Holzstückchen...
Mitnichten trug er eine Outdoorjacke von irgendeiner dieser Firmen, die uns erzählen, dass sie mit ihrem Plastik die Welt retten und uns die Erkundung der Umwelt erst ermöglichen würden, und er hatte schon gar nicht die Größe, um irgendeine Gefahr für wen oder was auch immer darzustellen, genau gesagt war er etwas über kniehoch. Sein Ende war äußerst brutal und unnatürlich. Es war nicht die Sonne, die ihn schmelzen ließ, wie das ja natürlicherweise früher oder später mit Schneemännern in diesen Regionen geschieht. Nein, denn der Winter ist in diesem Jahr zäh und hartnäckig, wer weiß, vielleicht wird er für immer bleiben. Herr Miese befürchtet das bestimmt. Der Schneemann wurde überfahren. Bestimmt von einem dieser Forstgeländewagen, das grobe Profil, das ich am Tatort fand, deutet jedenfalls in die Richtung. Nicht mal mehr im Wald ist man(n) sicher. Selbst wenn man gar nichts tut. Niemandem schadet. Und nur ganz still dasteht...
SissiVoss - 23. Mär, 08:24
Frau Voss liebt ja den Winter und stapft mit Begeisterung über tief verschneite Waldwege. Und mit genau dieser Begeisterung erzählte sie mir neulich, als wir telefonierten, wie sie am Rande eines ihrer Trampelpfade einen entzückenden kleinen Schneemann entdeckt hat ... nicht sehr hoch, aber liebevoll gestaltet ... und mit allem Drum und Dran.
Nun heißt es oft: das Staunen sei der Anfang der Philosophie. Das glaube ich nicht. Ich denke, dass vielmehr das Nörgeln alle Spekulationen über das Sein ins Rollen bringt ... was erklärt, warum so viele Deutsche unter den Klassikern der Philosophie zu finden sind ... was aber die Frage offen läßt, warum nicht ausschließlich Deutsche philosophieren ... egal.
Und also nörgelte ich los: "Darf man das denn überhaupt?" "Was?", fragte Frau Voss. "Na, einfach solche Schneemänner an öffentlichen Wegen errichten ... einfach so ... das kann doch nicht erlaubt sein ... wo sind wir denn?! Man kann doch über sie stolpern ... und bei einsetzender Schneeschmelze neigen sie sich womöglich zur Seite, kippen auf den Weg, versperren ihn oder - nicht auszudenken! - begraben arglose Spaziergängerinnen unter sich!"
Ich machte eine Kunstpause ... Ich wusste, Frau Voss stellte sich jetzt gerade vor, dass sie dieses Schicksal ereilen könnte.
Aber ich setzte noch einen drauf: "Und denken wir auch einmal an die Tiere des Waldes. Sie haben es ja im Winter schon schwer genug. Und dann ragt da vor ihnen auch noch die massige Gestalt eines Schneemanns auf, der dann auch noch die Form eines Menschen in Marken-Outdoor-Winterbekleidung hat ... da kriegen sie doch einen Schock fürs Lebens ... wenn dieses Leben nicht durch diesen Schock ohnehin ein jähes Ende findet. Aber nein: die Leute gehen einfach hin und bauen munter drauflos und ignorieren dabei die gültigen EU-Richtlinien für die Beschaffenheit von Schneemännern: Mindesthöhe ... zulässige Gesamthöhe ... Länge der Rübennase ... Zertifizierung der dabei verwendeten Rübe ... Nur die Wenigsten wissen, dass man die traditionellen Kohlen gar nicht mehr verwenden darf, um die Augen und Mantelknöpfe des Schneemanns zu simulieren ... aus Umweltschutzgründen ... natürlich ... und Schals und Hüte müssen biologisch abbaubar sein. - Schon gut: Ich weiß nicht wirklich, ob es diese EU-Verordnung gibt ... aber ich bin mir sicher - und zwar a priori - dass es sie geben muss ... das ist zwar kein ontologischer Beweis für ihre tatsächliche Existenz, aber im Sinne von Kants Theorie der regulativen Ideen - ..."
Weiter kam ich nicht, denn erst einmal musste da, auf der anderen Seite des Hörers, die Katze reingelassen werden ... oder rausgelassen ... es muss immer eine Katze rein oder raus gelassen werden, wenn ich anfange, eine philosophische Theorie zu erläutern. Manchmal glaube ich, Frau Voss hält sich ihre Katzen nur ... Aber lassen wir das.
Und jetzt, da die Katze entweder wieder drinnen oder draußen war, ging alles wieder von vorne los: "Aber er war sooo süß ... so ein ganz kleiner Schneemann! ...", rief Frau Voss in den Hörer ... noch immer begeistert.
Da war ich mit meinem Deutsch am Ende ... und mit meiner Philosophie. Durch die zusammengebissenen Zähne hindurch sagte ich nur noch: "Bei so viel Herzenswärme ... geh das nächste Mal nicht so dicht an ihm vorbei ... das bekommt ihm nicht!"
PeterMiese - 21. Mär, 11:22
Ich rede nicht nur zu Ihnen, meine Damen und Herren (und mit Frau Voss natürlich), ich rede auch und vor allem mit mir selbst. Da ich dabei den Mund (zumindest meistens) geschlossen halte, bin ich noch nicht psychiatrisch auffällig geworden. Nun ist eine der Sachen, die ich mir immer wieder sage, dass ich eine Schule für Selbstverteidigung gründen sollte - um damit endlich mehr Geld zu verdienen, als ich jemals brauchen werde.
Ich habe keine Ahnung, ob Sie ahnen, wie ich aussehe. Kurz gesagt: Ich könnte jederzeit als Model arbeiten (noch eine mögliche Einnahmequelle!) und zwar für Vorher-nachher-Bilder ... vor dem Fitnessstudio und danach. Mein Problem ist nur: So, wie ich aussehe, wäre ich ausschließlich für die Vorher-Bilder geeignet (was meine potentiellen Einnahmemöglichkeiten von vornherein halbiert ... schade).
Wenn ich also von der Existenzgründung als Selbstverteidigungslehrer träume, dann hat dieser Traum nichts mit irgend einer gängigen Form von Kampfsport zu tun ... eigentlich überhaupt nichts mit Sport ... und das könnte mich zum Millionär machen. Was mir da vorschwebt, ist die rein verbale Selbstverteidigung. Eine alltägliche Beobachtung hat mich auf diese Idee gebracht: Was mir am meisten Angst macht, wenn ich durch die Fußgängerzone zum Supermarkt und wieder nach Hause laufe, das sind die Leute, die von Weitem ganz normal aussehen ... und immer weniger normal, je näher sie kommen ... Leute also, die sich als komplett plemplem erweisen, wenn man sie dann auch noch hört. Und man hört sie, denn sie sprechen mit sich selbst ... laut und deutlich. Genauer gesagt: Im günstigsten Fall handelt es sich hier um Selbstgespräche ... denn wenn es in ihren Gehirnen gar nicht gut läuft, dann haben sie einen Gesprächspartner, der nur für sie sichtbar ist. Ein "Mann mit Visionen" - das war früher mal ein Wort des Lobes, der Anerkennung, des Respekts ... heute, in der Fußgängerzone, zuckt man zusammen, wenn so jemand direkt auf einen zukommt ... und man geht ihm am besten weiträumig aus dem Weg.
Und das ist doch nun wirklich die beste Methode der Selbstverteidigung: durch das bloße Auftreten schon soviel Angst und Schrecken zu verbreiten, dass niemand mehr auf die Idee verfällt, einem zu nahe zu kommen. Und es ist so einfach: man muss schlicht nur das vor sich hin murmeln, was einem sowieso gerade durch den Kopf geht ... und dann hin und wieder den Redeschwall durch unmotiviertes Kichern und Loslachen unterbrechen ... oder ab und an solche Formulierungen einflechten wie "Alles voller Blut ...!" oder "Mit dem Messer ... ja! ... mit dem Messer!" ... und Schimpfworte! Schimpfworte, scheinbar mühsam zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervorgepresst ... wie in einer Endlosschleife ... mit glasigem Blick, der den Augenkontakt zu niemandem mehr findet - zumindest zu niemandem, der in dieser Realität unterwegs ist. Ich versichere Ihnen: das funktioniert ... garantiert (was übrigens mein Slogan sein wird).
PeterMiese - 14. Mär, 11:03