Donnerstag, 28. März 2013

Zur Psychologie der Gebrauchsgegenstände (Teil 1)

Das haben wir alle schon mal gedacht: "Die Dinge sind gegen mich!" Meiner Meinung nach kann das durchaus schon mal passieren, aber die Regel ist das nicht ... was daran liegt, dass diese Dinge schon genug mit sich selber zu tun haben. Sie haben ihre eigenen Probleme ... und das nicht zu knapp. So gesehen ist es schon erstaunlich, dass sie sich gelegentlich die Zeit nehmen, uns den einen oder anderen Gefallen zu tun.

Nehmen wir da mal meinen Fernseher. Das ist noch so ein Vertreter der alten Schule ... so ein großer klobiger und klotziger Kasten eben. Und er ist ganz schwarz. Das läßt nichts Gutes ahnen ... und es ist auch so: Es geht ihm nicht so gut ... er ist depressiv ... eindeutig. Ich erkenne das daran, dass sein Bild manchmal dunkler wird ... und der Ton wird dann auch immer leiser. Man merkt es ihm an: Er will nicht mehr. Meist ist das im Winter so ... im Sommer geht es ihm besser: da zeigt er Filme, Dokumentationen und Serien in den leuchtendsten Farben ... und in voller Lautstärke ... ich muss ihn da regelrecht bändigen ... mit Hilfe eines seiner engsten Verwandten: der Fernbedienung. Aber auch sie hat so ihre dunklen Phasen. Manche ihrer Tasten funktionieren nicht mehr ... andere nur, wenn es etwas zu feiern gibt. Die Depression scheint hier in der Familie zu liegen ... manche Psychologen behaupten ja sowas ... also Psychologen, die für Menschen zuständig sind ... aber das gilt auch für den Bereich der Unterhaltungselektronik.

Jetzt werden Sie sagen: "Quatsch ... das ist keine Depression, das mit dem Dunkler- und Leiserwerden ... das ist eine Form von Widerstand!" Sie werden sagen: ""Ihr Fernseher empört sich ... er ist offenbar nicht nur so alt, sondern auch so wütend wie dieser Hessel ... der übrigens neulich gestorben ist, was kein gutes Zeichen für Ihren Fernseher ist ... auch Ihr Fernseher protestiert dagegen, eingelullt zu werden ... selbst die Nachrichten, selbst die politischen Talkshows: alles nur Gedudel!"

Mag sein, aber da kennen Sie meinen Fernseher schlecht. Ich kenne ihn schon länger ... sehr lange ... und sehr gut. So ist er nicht drauf. Eher könnte das schon bei meinem CD-Player so sein. Das ist ein ganz anderer Charakter. Er ist mehr der manische Typ. Das sieht man schon daran, mit welcher irrsinnigen, völlig übertriebenen Geschwindigkeit er die kleinen Silberscheiben dreht. Aber das fällt einem nur auf, wenn man, wie ich, mit den großen schwarzen Vinylplatten groß geworden ist ... das lief viel langsamer und funktionierte doch auch. Und wie das mit den Manikern so ist: sie überreagieren und zicken herum, wenn ihnen irgend etwas nicht passt ... Der CD-Player tut dann so, als wäre es eine Strapaze jetzt diese CD mit dieser Musik abzuspielen. Er holpert und stolpert durch so manchen Track ... und bricht manchmal sogar demonstrativ und theatralisch mitten in einem Song zusammen ... der Arsch ... gefällt sich in der Pose des Gemarterten, der unter der Last des Seins zusammenbricht ... Jim Morrison hat das auch gemacht ... ich meine: auf der Bühne mitten in einem Song demonstrativ und theatralisch zusammenbrechen.

So einer ist das ... Ich kenne ihn ... und durchschaue ihn ... und verlogen ist er obendrein (ich rede jetzt wieder über meinen CD-Player!). Manchmal lege ich eine CD ein und er macht sich an die Arbeit ... oder tut zumindest so. Er rackert und ackert ... scheinbar. Dreht die Scheibe hin und her, läßt sie auf Hochtouren laufen ... dann schwächelt er ... kann nicht mehr. Und dann: Gipfel der Unverschämtheit, lügt er mir ganz frech ins Gesicht: "no disc" Hält mich wohl für Klein Doofi ... traut mir nur ein ganz dürftiges Kurzzeitgedächtnis zu!

Was lernen wir daraus? Manche Gebrauchsgegenstände sollte man gar nicht reparieren, sondern therapieren.

Da lobe ich mir doch meine Einwegfeuerzeuge. Auf die ist Verlass. Keine Macken, keine Tücken, zuverlässig bis zum Ende ... echte Kameraden eben. Jaja, ich weiß: einer wie Adorno würde sie gerade deshalb als "autoritätsgebundene Charaktere" bezeichnen ... auf seiner Faschismusskala ganz tief im braunen Bereich. Ich höre den kritischen Frankfurter geradezu poltern: Diese Einwegfeuerzeuge sind ein Musterbeispiel totalitätskonformer Pflichterfüllung. Affirmativ versehen sie ihren Dienst bis ihnen das Gas ausgeht, um sich dann klaglos wegwerfen zu lassen. An ihnen ließe sich leicht die Mentalität des idealen Soldaten studieren. Und so weiter bis zum bitteren Ende der Negativen Dialektik.

Sie sehen: auch ich habe einmal eine politische Grundausbildung abgeleistet. Das war damals: in der Basisgruppe Germanistik. Da habe ich auch und vor allem gelernt, wie man eine Bierflasche mit einem Feuerzeug öffnet ... wie man Weinflaschen ohne Korkenzieher auf bekommt, habe ich erst später erfahren ... in der Basisgruppe Philosophie. Und da wir gerade so angeregt über die Philosophie plaudern: In diesem Studienfach lernt man eine ganze Menge von Begriffen, mit denen man arglose Mitmenschen auf Feten beeindrucken kann. "Panpsychismus" ist einer davon. Er bezeichnet eine sehr nachvollziehbare Ansicht: So ein Ding ist auch nur ein Mensch.

Paris Hilton, die Kakerlaken und ich

Neulich hatte ich einen sehr seltsamen Traum. Ich stand mit meiner Kamera vor einem großen, festlich erleuchteten Gebäude in einer Menge von Fotoreportern, die alle an einem roten Teppich auf die Ankunft einer Celebrity warteten. Eine Limousine fuhr vor, und schon ging ein Raunen durch die Menge ... es blitzte überall um mich herum. Paris Hilton stieg aus und lächelte uns an. Sie lächelte das Lächeln, für das sie bekannt ist ... mit versonnenem Blick, ohne die Zähne zu zeigen. Überirdisch ... bezaubernd. Sie ging einige Schritte, posierte für die Kameras, und schritt dann wieder den roten Teppich hinab. Auch ich wollte ein Foto von ihr machen und ich lockte sie an: "Gucci, gucci, gucci …", rief ich ihr zu: "Gucci, gucci, gucci …"

Und dann geschah es. Sie schaute mir nicht nur in die Augen, sie kam auch direkt auf mich zu. Ich ließ die Kamera sinken. Es war wie einer dieser magischen Momente wie in einem Film, wo zwei Menschen alles um sich herum vergessen ... wo alles in den Hintergrund tritt und nur noch Musik zu hören ist. Und auch ich hörte in diesem Moment etwas. Nur war es keine Musik. Es war ein Knirschen. Als ich einen Schritt auf sie zu gemacht hatte, hatte ich wohl aus Versehen eine Küchenschabe zertreten. Aber ich kümmerte mich nicht darum, denn Paris Hilton sprach zu mir: "Du", sagte sie zu mir, "du wirst mich unsterblich machen." – Und dann bin ich aufgewacht.

Es klingt vielleicht seltsam, aber vielleicht ist Ihnen das auch schon aufgefallen: Auf manchen Fotos, meine ich, sieht Paris Hilton fast ein wenig wie die Mona Lisa aus. Halten Sie mich für verrückt, aber beide haben dieses geheimnisvolle Lächeln. Zugegeben: Ich kenne diese Theorie, die von zynischen Kunsthistorikern aufgestellt wurde. Sie behaupten, das Lächeln der Mona Lisa, dieses überirdische und bezaubernde Lächeln, sei ein Zeichen dafür, dass sie geistesgestört war.

Nun, wie das mit manchen Träumen so ist: Sie gehen einem den ganzen Tag lang nicht mehr aus dem Kopf. Und nicht zu vergessen: Es gibt auf dieser Welt Kulturen, in denen gelten die Träume als Botschaften höherer Mächte. Und dass Paris Hilton eine höhere Macht ist, vor allem in finanzieller Hinsicht, wird wohl niemand ernsthaft bestreiten wollen. Sollte sie mir wirklich auf diese übersinnliche Art und Weise den Auftrag gegeben haben, sie zu verewigen?

Da wäre nun die Frage: Wie macht man so etwas? Und das bringt mich zurück auf ihre Ähnlichkeit mit der Mona Lisa. Im Gegensatz zu den meisten von uns, hatte das Leben der Mona Lisa ja einen Sinn: Sie wurde geboren, hat sich malen lassen und starb. Und das allein hat sie in die Ewigkeit eingehen lassen. Was sie sonst noch so gemacht hat, das interessiert doch keinen mehr. Aber ohne sie würde es eines der größten Kunstwerke der Menschheit nicht geben.

Vielleicht wird das Lächeln der Mona Lisa das Einzige sein, was von der gesamten Menschheit übrig bleibt. Schon möglich ... Aber vielleicht wird das einzige Überbleibsel der Menschheit das sein, was ich jetzt gerade über Paris Hilton schreibe. Stellen Sie sich einmal vor, durch einen dummen Zufall oder eine Fügung des Schicksals ist alles, was von uns in zehntausend Jahren noch existiert, nur ein vergammelter USB-Stick mit meinen Texten. Und nach einhelliger Meinung der Kakerlaken, die uns in der Evolution als Krone der Schöpfung abgelöst haben, ist es der beste Text, den ich, dieser anonyme Autor einer finsteren Vergangenheit, je geschrieben habe. Dann hätte ich es tatsächlich geschafft. Mein Model, Paris Hilton, wäre unsterblich geworden, weil sie ein unsterbliches Werk inspiriert hat.

Denken Sie darüber nach, wenn sie Ihre nächste Mail herunter tippen und über dies oder jenes lästern. Man weiß nie, was von einem bleibt. Ich ziehe für mich die Lehre daraus, dass ich nichts hinterlassen werde, was mich da in zehntausend Jahren einer intelligenten, kunsthistorisch und literaturwissenschaftlich versierten Kakerlake gegenüber in Verlegenheit bringen könnte.

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