Donnerstag, 7. März 2013

Die Drückerkolonne des Herrn

Ich schließe gerade meine Wohnungstür ab, da höre ich aus dem Treppenhaus ein Seufzen, ein Stöhnen und ein schweres Atmen. Ich ahne es schon. Die beiden Zeuginnen Jehovas, die für diesen Wohnblock zuständig sind, machen mal wieder ihre Runde. Ich höre die eine klagen, dass hier endlich ein Aufzug eingebaut werden sollte. Auch ich halte das für eine gute Idee (von meinen regelmäßigen Gästen ganz zu schweigen): Wir befinden uns im vierten Stock ... Aber bei Jehova stößt dieser Wunsch auf taube Ohren. Man kann eben nicht alles haben ... noch nicht mal von seinem eigenen Gott.

Aber davon abgesehen: Diesen Zeuginnen sollte es doch genügen, zu den Auserwählten zu gehören, die den Weltuntergang überstehen werden ... und das ist doch auch schon was!

Und wenn sich diese Drückerkolonne des Herrn dann schließlich vor die Türen geschleppt hat, dann bleiben die meist verschlossen. Selbst sie können zwar nicht durch Türen sehen, aber man erkennt doch sehr wohl, dass auf der anderen Seite ein Schatten auf den Türspion fällt ... und dann hört man das Geflüster von Stimmen, die sich anhören wie die Stimmen, die man nicht hören soll.

Das sind die Veteranen auf der anderen Seite: die Leute, die schon einmal oder mehrfach die Tür geöffnet und jetzt (endlich!) aus ihrem Fehler gelernt haben. Aber es gibt immer genug Frischfleisch, Greenhorns und und die anderen blutigen Anfänger eines Lebens im Apartmenthaus. Die machen die Tür doch tatsächlich auf, wenn es klingelt! Und dann kommen Gesichter zum Vorschein, denen man sehr schnell ansehen kann, dass sie ihren Fehler schon in dem Moment erkennen, in dem sie ihn machen ... Gesichter, die dann den Ausdruck annehmen, den man von Munchs Gemälde Der Schrei her kennt. Aber geschrien wird nicht. Es gibt da nur das Gemurmel und Gestammel der fadenscheinigen Ausrede zu hören. Ja, der Kopf dieser Leute hat die Lage gerade einmal in Umrissen erfasst, da handeln die Arme schon längst: am Hirn mit seinen Höflichkeitsskrupeln vorbei, schlagen sie die Tür zu - und pressen dann vorsichtshalber die Hände von innen kräftig gegen das Holz. Sie atmen auf, denn sie haben es überstanden. Glauben sie.

Und die Drückerkolonne zieht weiter zur nächsten und übernächsten und abernächsten Tür. Und ich bin mir da ganz sicher: Eines Tages werden sie die Faxen dicke haben ... aber mächtig dicke. Gegen soviel sich anstauender Frustration kommt auch der stärkste Glaube nicht an. Das radikalisiert ... Ein militanter Flügel der Zeugen Jehovas wird sich im Geheimen konstituieren ... er wird immer mehr Zulauf bekommen ... geheime Trainingslager werden eingerichtet ... Strategien entworfen ... schwarze Listen geschrieben.

Und mein Name wird ganz weit oben auf einer dieser Listen stehen. Denn wie es der Zufall will (oder der Ratschluss der allerhöchsten Macht): Ich gehe immer genau zu der Zeit Einkaufen, wenn die Zeugen hier im Haus ihre Missionstournee beginnen. Sie haben mich noch nie gekriegt ... aber damit werde ich auf Dauer nicht durchkommen ... das ist klar.

Dann wird es auch kein Klingeln und Klopfen geben ... oh nein! Die Tür wird mit einem dieser handlichen Rammböcke aus den Angeln gebrochen ... so heftig, dass sie mir hier im Wohnzimmer vor die Füße rutscht. Und während ich noch denke: 'Das habe ich so auch noch nicht gesehen', da liege ich schon am Boden und spüre das Knie, das sich in meinen Brustkorb drückt. "Wir wollen mit Ihnen über Gott sprechen!", höre ich und schreie: "Ich weiß nichts! ... Nein! ... Ich weiß nicht, wo er ist!" - "Aber wir ...!", bekomme ich zur Antwort. Und ich kann es ganz deutlich sehen: Das Gesicht da über mir fängt an zu lächeln ... und es ist ein so breites Lächeln, dass es selbst durch die wollene Tarnmaske hindurch zu erkennen ist.

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